Wolterus de Ketwich (Walter von Ketwich), Notar

Protestatio (Meister Eckhart) Öffentliche Erklärung, vorgetragen in der Kölner Dominikanerkirche.

In nomine Domini, amen. Noverint universi hoc presens instrumentum publicum visuri et audituri, quod anno nativitatis eiusdem millesimo trecentesimo vicesimo septimo, indictione decima, tertia decima die mensis Februarii, hora circa sextam dicte diei, in presentia mei notarii subscripti et testium infrascriptorum magister Ekardus, [sup. lin.: doctor] sacre theologie, ordinis Predicatorum domus Coloniensis, constitutus ascendebat sedem, super qua in ecclesia fratrum dicti ordinis sermo predicari solet, et ibidem predicavit sermonem populo; et ipso sermone finito idem magister vocavit ad se fratrem Conradum de Halverstat dicti ordinis, mandavit illi, ut cartam, quam in manu sua portabat infrascriptam, nomine suo et pro ipso magistro distincte ad intellectum legeret coram populo ibidem presente. Et quam primum idem frater unum articulum sive punctum de contentis in ipsa carta legerat, predictus magister illum in materna lingua populo intellective de verbo ad verbum exposuit. Et sic de singulis punctis sive articulis in dicta carta contentis iidem magister et frater Conradus processerunt et se expediverunt.

Im Namen des Herrn, Amen. Alle die die vorliegende amtliche Urkunde sehen oder von ihr hören werden, sollen wissen, daß im Jahre 1327 seiner Geburt, 10. Indiktion, am 13. Tag des Monats Februar, ungefähr zur 6. Stunde des genannten Tages in meiner, der ich als amtlicher Schreiber unterschrieben habe, und der Zeugen Anwesenheit, die unten unterschrieben haben, der Magister Eckhart, Doktor der heiligen Theologie, aus dem Kölner Haus des Ordens der Prediger, den Sitz, auf dem in der Kirche der Brüder des genannten Ordens gewöhnlich die Predigt gehalten wird, bestimmt bestiegen hat, und dort dem Volk predigte, und nachdem die Predigt selbst beendet worden war, rief derselbe Magister den Bruder Konrad von Halberstadt aus dem genannten Orden zu sich, [und] trug jenem auf, den Zettel, den er in seiner Hand trug und der unten aufgeschrieben steht, zum klaren Verständnis vor dem ebendort anwesenden Volk vorzulesen, und sobald derselbe Bruder einen Abschnitt oder Punkt aus dem Inhalt selbigen Zettels vorgelesen hatte, hat der vorgenannte Magister jenen [Abschnitt] in der Muttersprache verständlich [und] wörtlich dem Volk dargelegt [übersetzt]. So sind dieselben, der Magister und der Bruder Konrad, von Punkt oder Artikel [zu Punkt oder Artikel] einzeln vorangegangen und haben sie dargelegt. Quibus actis per eosdem, predictus magister mandavit michi notario subscripto ut ea, que per ipsum et dictum fratrem ibidem acta et lecta forent, manu propria conscriberem et in formam publicam redigerem meoque signo consueto signarem. Tenor vero dicte carte talis est: Nachdem dies durch dieselben getan war, trug mir, dem Schreiber, der unterschrieben hat, der vorgenannte Magister auf, das, was von ihm selbst und dem genannten Bruder ebendort getan und verlesen worden wäre, eigenhändig aufzuschreiben und in eine amtliche Form zu bringen und mit meinem gewohnten Siegel zu besiegeln. Der Wortlaut genannten Zettels aber ist der: “Ego magister Ekardus, doctor sacre theologie, protestor ante omnia, Deum invocando in testem, quod omnem errorem in fide et omnem deformitatem in moribus semper, in quantum michi possibile fuit, sum detestatus, cum huiusmodi errores statui doctoratus mei et ordinis repugnarent et repugnent. Quapropter, si quid erronium [lege: erroneum] repertum fuerit in premissis scriptum per me, dictum vel predicatum, palam vel occulte, ubicumque locorum vel temporum, directe vel indirecte, ex intellectu minus sano vel reprobo, expresse hic revoco publice coram vobis universis et singulis in presentiarum constitutis, quia id pro non dicto vel scripto ex nunc haberi volo; specialiter etiam quia male intellectum me audio, quod ego predicaverim, minimum meum digitum creasse omnia, quia illud non intellexi nec dixi, prout verba sonant, sed dixi de digitis illius parvi pueri Ihesu. Et quod aliquid sit in anima, si ipsa tota esset talis, ipsa esset increata, intellexi verum esse et [sup. lin.: intelligo] etiam secundum doctores meos collegas, si anima esset intellectus essentialiter. “Ich, Meister Eckhart, Doktor der heiligen Theologie, erkläre, Gott zum Zeugen anrufend, vor allem, daß ich jeglichen Irrtum im Glauben und jede Abirrung im Lebenswandel immer, so viel es mir möglich war, verabscheut habe, da Irrtümer dieser Art meinem akademischen Status und Mönchsstand widerstritten hätten und noch widerstreiten. Aus diesem Grunde widerrufe ich, sofern sich in dieser Hinsicht etwas Irrtümliches finden sollte, was ich geschrieben, gesprochen oder gepredigt hätte, privat oder öffentlich, wo und wann auch immer, unmittelbar oder mittelbar, sei es aus schlechter Einsicht oder verkehrten Sinnes: das widerrufe ich hier öffentlich und vor Euch allen und jeglichem, die gegenwärtig hier versammelt sind, weil ich dieses von nun an als nicht gesagt oder geschrieben betrachtet haben will, besonders aber auch, weil ich vernehme, daß man mich übel verstanden hat: so, als hätte ich [z.B.] gepredigt, mein kleiner Finger habe alles geschaffen. Das habe ich weder gemeint noch gesagt, wie die Worte lauten, sondern ich habe es von den Fingern des Knaben Jesu gesagt. Und dann, ein Etwas sei in der Seele, um dessentwillen sie, wenn die ganze Seele so wäre, als ungeschaffen zu bezeichnen wäre [Bulle 27, Votum 4]: dies halte ich mit den Doktoren, den Kollegen, nur dann für wahr, wenn die Seele dem Wesen nach Intellekt wäre. Nec etiam unquam dixi, [corr. post. sup. rasuram: quod sciam], nec sensi, quod [sup. lin.: aliquid] sit in anima, quod sit aliquid anime, quod sit increatum et increabile, quia tunc anima esset pecia [corr. post.: peciata] ex eato [corr. post.: creato] et [sup. lin.: et increato], cuius oppositum scripsi et docui, nisi quis vellet dicere: increatum vel non creatum, [ad. post.: id est] non per se creatum sed concreatum. Salvis omnibus corrigo et revoco, ut premisi, corrigam et revocabo in genere et in specie quandocumque et quotienscumque id fuerit oportunum, quecunque reperiri poterunt habere intellectum minus sanum”. Niemals habe ich auch meines Wissens gesagt, noch bin ich der Meinung gewesen, daß etwas in der Seele sei, was zwar ein Teil der Seele sei, indes ungeschaffen und unschaffbar, weil so die Seele aus Geschaffenem und Ungeschaffenem bestände. Vielmehr habe ich das Gegenteil geschrieben und gelehrt, wenn nicht einer [kommt und] erklärt, ungeschaffen und nicht geschaffen hieße so viel wie nicht an und für sich erschaffen, sondern hinzugeschaffen. Vorbehaltlich aller [dieser Richtigstellungen] korrigiere und widerrufe ich, wie ich [eingangs] gesagt habe, und ich werde im allgemeinen wie im einzelnen und immer, wann es dienlich sein wird, alles korrigieren und widerrufen, wovon sich ermitteln ließe, daß es keinen ganz gesunden Sinn hat”. [Ruh, Eckhart, S. 182] Lectum, expositum et actum presentibus fratribus Iohanne de Grifinsteyn priore, Rytolpho de Elz [sup. lin.: priore], Ottone de Schowemburg lectore in Confluentia, Brunone Schervekin, Arnoldo de Leye, Iacobo de Frankinsteyn, Godefrido dicto Niger, Godefrido Lodewico de Porta Martis, Iohanne de Duren, Theoderico de Wormacia dicti ordinis, Alberto sacerdote celebranti in ecclesia Sanctarum Virginum in Colonia, Gobelino de Vdinchoven et Hermanno moranti in lata platea, civibus Coloniensibus, testibus ad premissa vocatis. Sub anno nativitatis domini, indictione, die, hora diei et loco supradictis. Vorgelesen, dargelegt und verhandelt in Anwesenheit der Brüder Johannes von Grifinsteyn (1), Prior, Rytolph von Elz [Prior], Octo von Schowenburg, Lektor in Koblenz, Bruno Schervekin, Arnold von Leye, Jacob von Frankinsteyn, Godefrid, genannt Niger, Godefrid Ludwig von der Marspforte (2), Johannes von Düren, Theoderich von Worms[alle Brüder] des genannten Ordens, [in Anwesenheit] Arnolds, Priester in der berühmten Kirche der Heiligen Jungfrauen in Köln (3), des Gobelin von Udinchoven und des Hermann, der in der Breite Straße (4) wohnt, [beide] Kölner Bürger, die zu Zeugen für das Vorausgeschickte gerufen wurden. Im oben genannten Jahr der Geburt des Herrn, Indiktion, Tag, Stunde des Tages und Ort. Et ego Wolterus de Ketwich, clericus curie Coloniensis, imperiali auctoritate publicus notarius, premissis omnibus et singulis una cum testibus supranominatis presens interfui, vidi et audivi et presens instrumentum publicum exinde confeci et in hanc formam publicam redegi meoque signo consueto signavi, vocatus ad hoc specialiter et rogatus. Subscriptiones, videlicet ‘priore’, et rasuras approbo. Datum ut supra. (Signum notarii) Und ich Walter von Ketwich, Geistlicher der Kölner Curie, durch kaiserliche Vollmacht amtlicher Schreiber habe an jeder vorausgeschickten Einzelheit zusammen mit den vorgenannten Zeugen persönlich teilgenommen, sie gesehen und gehört, und sodann die vorliegende amtliche Urkunde angefertigt und in diese amtliche Form gebracht und mit meinem gewohnten Zeichen gesiegelt, insbesondere dazu gerufen und gebeten. Ich billige die Unterschriften, natürlich “priore”, und die Rasuren (5). Ausgestellt wie oben [bereits genannt]. (Am Rand das Signum) 1 In der Januarappellation “Gripenstein” genannt. 2 Römisches Stadttor nach Osten, noch heute Straßenname: “Obenmarspforten”. 3 St. Ursula. 4 Die Straße existiert unter diesem Namen noch heute. 5 Offensichtlich sind Korrekturen und/oder Ergänzungen an dem Dokument vorgenommen worden, die vom Notar hier beglaubigt werden. Quelle: http://www.eckhart.de